Der große AfD-Bluff – eine Partei, neoliberal bis ins Mark
Jutta Ditfurth sagte einst über ihre ehemalige Partei: „Alle Parteien machen ihren Wählern was vor, aber es gibt keine Partei, die eine so grandiose Differenz zwischen ihrem Image und ihrer Realität hat wie die Grünen“. Diesen Satz könnte man heute wohl eins zu eins auch auf die AfD anwenden. Bei den Arbeitern war die AfDWeiterlesen
Jutta Ditfurth sagte einst über ihre ehemalige Partei: „Alle Parteien machen ihren Wählern was vor, aber es gibt keine Partei, die eine so grandiose Differenz zwischen ihrem Image und ihrer Realität hat wie die Grünen“. Diesen Satz könnte man heute wohl eins zu eins auch auf die AfD anwenden. Bei den Arbeitern war die AfD bei den letzten Wahlen die stärkste Partei. Schaut man sich jedoch das Programm der AfD an, erkennt man schnell, dass die vermeintliche Arbeiterpartei neoliberal bis ins Mark ist und dabei eine Steuerpolitik verfolgt, die den Reichen und Superreichen Milliarden und Abermilliarden schenken würde. Da wundert es bei allen sonstigen politischen Überschneidungen nicht, dass Frontfrau Alice Weidel sich so prima mit dem reichsten Mann der Welt versteht. Die AfD gleicht damit einem Kuckucksei, dass ihren Wählern ins Nest gelegt wurde. Image und Realität unterscheiden sich diametral. Von Jens Berger.
Es ist und bleibt ein Rätsel, warum die klassischen „Politikerklärer“ das Wesen der AfD offenbar immer noch nicht so richtig verstanden haben. Klar, wenn man nur in den Kategorien „Links“, „Rechts“ und „Mitte“ denkt, ist es schwer, die AfD in all ihren Facetten zu beschreiben. Natürlich ist sie eine rechte Partei, aber das allein erklärt weder ihre Programmatik noch ihren Erfolg.
Gegründet wurde die AfD aus dem Umfeld einiger Professoren, die zwar auf ihre Weise sicher auch gesellschaftspolitisch erzkonservativ und in Teilen auch nationalchauvinistisch waren. Aber das war ja nicht der Auslöser, nicht das vereinende Element der Parteigründer. Ziel der Herren Lucke, Ederer, Homburg, Starbatty und so weiter war es, eine Partei ins Leben zu rufen, in der marktliberale, ja marktradikale Extremforderungen eine Plattform finden. Man wollte den Staat entkernen, die Steuerlast minimieren und die soziale Marktwirtschaft nach libertären Vorstellungen umkrempeln. Derartige Forderungen waren in Deutschland, anders als beispielsweise in den USA, wo die Libertären auch in der Trump-Regierung sehr stark vertreten sind, noch nie sehr populär. Auch die AfD wäre wahrscheinlich eine Splitterpartei unter vielen geblieben, hätte es kurz nach ihrer Parteigründung nicht die Flüchtlingskrise gegeben, die der AfD und ihrer migrationskritischen Linie nicht nur jede Menge Stimmen, sondern auch jede Menge neue Mitglieder bescherte, die jedoch mit dem Libertarismus der „Professoren“ nicht viel anzufangen wussten und die Partei eher in Richtung einer traditionellen Rechtspartei verschieben wollten.
Dieser „Flügelkampf“ in der AfD ging über viele Jahre und wurde auch ausführlich medial begleitet. Einige Gründerväter des libertären Flügels traten aus, auf der anderen Seite wurden Rechtsextreme wie Andreas Kalbitz aus der Partei ausgeschlossen. Noch heute sind beide Flügel in der Partei präsent und haben offenbar einen Burgfrieden geschlossen. Die Berichterstattung über die AfD fokussierte sich jedoch paradoxerweise seit jeher nahezu ausschließlich auf den „völkisch-nationalistischen“ Parteiflügel rund um Björn Höcke und dessen Umtriebe. Der libertäre Parteiflügel wird indes kaum beachtet.
Das ist gleich aus zahlreichen Gründen nachlässig. Mit Alice Weidel ist heute eine ausgemachte Vertreterin des libertären Flügels die starke Frontfrau der Partei. Weidel ist ein politisches Ziehkind des marktradikalen AfD-Vordenkers und Mitgründers der AfD-Vorgängerpartei „Wahlalternative 2013“, Peter Oberender. Der 2015 verstorbene Oberender war ein neoliberaler Ökonom, der unter anderem forderte, dass Hartz-IV-Empfänger ihre Organe verkaufen dürfen sollten, um das Existenzminimum zu finanzieren. Genau dieser Oberender war Weidels Doktorvater. Später war Weidel u.a. Mitglied der libertären Hayek-Gesellschaft, die erst im letzten Jahr mit der Auszeichnung des ebenfalls libertären argentinischen Präsidenten Milei für Schlagzeilen sorgte.
Ein weiterer libertärer „Powerbroker“ ist der deutschstämmige US-Milliardär und Trump-Unterstützer Peter Thiel, der zusammen mit Weidels Idol Elon Musk derzeit als der wohl einflussreichste politische Strippenzieher in den USA und darüber hinaus gelten kann. So schließt sich der Kreis. Doch über die libertären Querverbindungen von Weidel und der AfD mit libertären Kreisen hört man erstaunlicherweise in unseren Medien so gut wie nichts. Das ist umso mehr erstaunlich, da sich die AfD ja gerne bei anderen Gelegenheiten als „US-kritisch“ verkauft. Dabei gibt es im Bundestag keine Partei, die mit der neuen Trump-Regierung und ihren Hintermännern derart ideologisch verbandelt ist, wie die AfD.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. An dieser Stelle soll es ja weniger um Außenpolitik und geopolitische Fragen, dafür umso mehr um die sozioökonomischen Themenschwerpunkte gehen, bei denen die AfD sich programmatisch diametral von den Interessen der meisten ihrer Wähler unterscheidet und die in diesem Fall nicht dem völkisch-nationalistischen Flügel, sondern eben dem libertären Flügel zuzurechnen sind. Schaut man sich das Wahlprogramm der AfD an, ist schnell klar, dass es bei den sozioökonomischen Themen zwar „Einsprengsel“ der Völkisch-Nationalistischen gibt, die Forderungen jedoch zu großen Teilen auf dem Reißbrett der Marktradikalen und Neoliberalen aus dem libertären Flügel stammen.
AfD-Steuerpolitik – Geschenk an die Milliardäre
Besonders deutlich wird dies bei der Steuerpolitik. Bei der Einkommensteuer will die AfD die „kalte Progression“ beenden und dazu einen „Tarif auf Rädern“ einführen. Dagegen ist im Prinzip auch gar nichts zu sagen, stellt die „kalte Progression“, also das nachgelagerte Erhöhen der Eckwerte bei den Steuertarifen, in der Tat ein Problem dar. Doch die steuerpolitischen Forderungen der AfD gehen weit über diese sinnvolle und vergleichsweise kleine Änderung hinaus. Die AfD fordert eine „grundlegende Steuerreform“. Die derzeitige unterschiedliche Besteuerung verschiedener Einkünfte soll durch eine einheitliche Ertragssteuer ersetzt werden. Der Steuersatz dieser Ertragssteuer soll pauschal bei 22 Prozent liegen, die durch eine „Gemeindewirtschaftssteuer“, die von den Kommunen erhoben wird, ergänzt wird. In Summe soll der Steuersatz dabei „im Regelfall“ 25 Prozent nicht überschreiten.
Der einzige Eckwert, der im AfD-Steuerkonzept noch vorhanden ist, ist der Grundfreibetrag, der mit 15.000 Euro pro Erwachsenem und 12.000 Euro pro Kind bei gemeinschaftlicher Veranlagung sehr großzügig ausfällt. Steuerberater brauchen jedoch keine Angst zu haben, dass sie nun arbeitslos werden. Das AfD-Modell sieht auch noch zahlreiche Abschreibungsmöglichkeiten und Ausnahmen vor. So sollen beispielsweise die Gesundheits- und Altersvorsorge – natürlich in privaten Versicherungsmodellen – absetzbar sein.
Gerade so, als schwimme der Staat in Geld, wird dieses Ertragssteuermodell durch einen ganzen Reigen von Streichungen anderer Steuern ergänzt. Die neue Ertragssteuer soll die einzige direkte Steuer sein – die alte Einkommensteuer fällt weg, ebenso der Solidaritätszuschlag, die Körperschaftssteuer und die Gewerbesteuer.
Rechnen wir das doch mal anhand von drei Musterbeispielen vereinfacht durch. Kindergeld und Ausgaben, die absetzbar sind, lassen wir dabei raus. Es geht nicht um Nachkommastellen, sondern darum, aufzuzeigen, wohin der Weg führen würde.
- Alleinerziehend mit einem Kind im Niedriglohnbereich
Jahreseinkommen: 28.000 Euro brutto
Alte Einkommensteuer: 3.845 Euro
Ertragssteuer nach AfD-Modell bei 25% Steuersatz: 250 Euro
Ersparnis: 3.595 Euro (13% des Jahreseinkommens) - Arbeiter- und Angestelltenfamilie mit zwei Kindern im Durchschnittslohnbereich
Jahreseinkommen: 98.000 Euro brutto
Alte Einkommensteuer: 21.030 Euro
Ertragssteuer nach AfD-Modell bei 25% Steuersatz: 11.000 Euro
Ersparnis: 10.030 Euro (10% des Jahreseinkommens) - Topverdienerfamilie ohne Kinder
Jahreseinkommen: 500.000 Euro brutto
Alte Einkommensteuer: 199.106 Euro
Ertragssteuer nach AfD-Modell bei 25% Steuersatz: 117.500 Euro
Ersparnis: 81.606 Euro (16% des Jahreseinkommens)
Man sieht: Auch wenn die Reform von der AfD als familienfreundlich und sozial ausgeglichen verkauft wird, sind es bei diesem Modell die Besser- und Topverdiener, die ganz massiv sowohl absolut als auch relativ profitieren würden. Man sieht aber auch, dass beim AfD-Steuermodell durch die Bank weg alle bislang einkommensteuerpflichtigen Haushalte profitieren. Spätestens hier müsste natürlich die Frage gestellt werden, wie die AfD diesen Steuersenkungsregen gegenfinanzieren will. Doch dazu später mehr.
Denn die Geschenke bei der Besteuerung der Einkünfte sind ja längst noch nicht alles! So will die AfD auch sämtliche Substanzsteuern ersatzlos streichen. Die – ohnehin derzeit nicht erhobene – Vermögenssteuer soll abgeschafft werden. Die Grundsteuer soll ebenfalls entfallen. Interessant an diesem Punkt: Im Abschnitt zur Wohnungsbaupolitik beschreibt die AfD die Streichung der Grundsteuer als Senkung der Wohnnebenkosten für Mieter. Im steuerpolitischen Teil wird jedoch erwähnt, dass der Wegfall der Grund- und der Körperschaftssteuer ja „vollumfänglich“ durch den neuen von Kommunen erhobenen Aufschlag auf die Ertragssteuer ausgeglichen werden soll. Halten wir fest: Hausbesitzer müssen keine Grundsteuer mehr zahlen, Mieter kompensieren diese Steuerausfälle über die Gemeindewirtschaftssteuer, die ja für Hausbesitzer und Mieter in gleicher Höhe anfällt. Was daran sozial gerecht sein soll, weiß wohl auch nur die AfD. Last but not least will die AfD „selbstverständlich“ auch die Erbschaftssteuer komplett abschaffen. Die sei ungerecht, weil das zu vererbende Vermögen ja schon irgendwann mal versteuert wurde und bringe ohnehin kaum etwas ein. Auf die Idee, die Erbschaftssteuer so zu reformieren, dass sie was einbringt und vor allem die extrem hohen Erbschaften der Superreichen adäquat und gerecht besteuert werden, kommt die AfD freilich nicht.
Rente und Soziales – Nebulöse Formulierungen
Während man zwar nicht im Wahlprogramm, dafür aber in den Gesetzesentwürfen der AfD durchaus konkrete Zahlen zur Steuerpolitik finden kann, bleibt die Partei sowohl bei den Renten als auch bei der Sozialpolitik bewusst unkonkret. Die AfD will Altersarmut verhindern – wer will das nicht? In ihrem Wahlprogramm nennt die Partei dabei gleich mehrfach das österreichische Modell als Vorbild. Das ist erstaunlich, da die sonstigen Forderungen mit dem österreichischen Modell nur sehr wenig zu tun haben. Wenn Sie die beiden Rentenmodelle einmal vergleichen wollen, lesen Sie bitte den Artikel, den der Statistiker Günter Eder dazu auf den NachDenkSeiten verfasst hat.
In seinem Fazit nennt Eder dabei drei Punkte, mit denen das deutsche Rentenniveau an das österreichische angeglichen werden könnte:
- die vollständige Finanzierung versicherungsfremder Leistungen über Steuermittel
- eine angemessene Anhebung des Rentenbeitragssatzes
- die Beendigung der Privatisierung des Rentensystems zu Lasten der gesetzlichen Rente
Versicherungsfremde Leistungen will auch die AfD komplett über Steuermittel ausgleichen. Das ist gut, jedoch fehlt im Konzept die Gegenfinanzierung. Zu den künftigen Beitragssätzen findet sich bei der AfD jedoch nur der lapidare Satz, man wolle kommende Erhöhungen der Beitragssätze durch Steuersenkungen für Unternehmen und Beschäftigte ausgleichen. Vor allem aber fehlt im gesamten AfD-Programm jegliche Kritik an der Privatisierung des Rentensystems. Ganz im Gegenteil. Erstaunlicherweise taucht dieser Punkt bei den rentenpolitischen Forderungen gar nicht auf, dafür aber an anderen Stellen, wie bei den Freibeträgen bei der geforderten Ertragssteuer. Die AfD suggeriert in ihrem Programm, sie wolle das österreichische Rentensystem adaptieren, lässt dabei jedoch zwei Säulen komplett heraus und verschweigt, wie sie die einzige vorgesehene Säule, die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen, gegenfinanzieren will. Mit dem österreichischen Modell hat dies nichts zu tun.
Und auch sonst bleibt die AfD betont wolkig und nebulös, wenn es um die Rente geht. Von einer Senkung oder Erhöhung des Renteneintrittsalters ist im Programm beispielsweise nicht viel zu erfahren; außer dass man einen flexiblen Renteneintritt ohne Abschläge nach 45 beitragspflichtigen Jahren ermöglichen will. Das ist ja schön, aber wie hoch soll der Rentensatz dann „ohne Abschläge“ sein? Die AfD erwähnt, dass es ihr „fernes Ziel“ (sic!) sei, ein durchschnittliches Rentenniveau in Höhe von 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens zu ermöglichen. Wie sie dies erreichen will, ist jedoch nicht zu erfahren.
So ähnelt das gesamte Rentenkonzept einer Vernebelungstaktik. An einigen Stellen wird das Blaue von Himmel versprochen, bei den Instrumenten bleibt man jedoch wortkarg und führt stattdessen neoliberale Plattitüden an. So wird beispielsweise bei den „Bausteinen, die die Rente langfristig stabilisieren“, an erster Stelle der Punkt „Rationalisierungsinvestitionen zur Erhöhung der Produktivität und der Löhne durch Unternehmenssteuersenkungen erleichtern“ genannt. Sie verstehen das nicht? Da sind Sie sicher nicht der Einzige. Die AfD sagt damit: Wenn wir die Steuern für Unternehmen senken, werden diese mehr Job schaffen und bessere Löhne zahlen, was sich systemisch dann auf das Rentenniveau positiv auswirkt. Das ist Neoliberalismus in Reinkultur und mittlerweile dürfte sich sogar bis zur AfD herumgesprochen haben, dass der berüchtigte „Trickle-Down-Effekt“ außerhalb der neoliberalen Lehrbücher schlichtweg nicht existiert.
Sind die rentenpolitischen Forderungen der AfD größtenteils lückenhaft, so ist ihre geforderte „Grundsicherung“, die das Bürgergeld ersetzen soll, vollends nebulös. Konkrete Zahlen sucht man hier vergebens. Stattdessen findet man haufenweise neoliberale Mantras, dass die meisten Bürgergeldempfänger schlichtweg nicht arbeiten wollen und das Bürgergeld ja so hoch sei, dass sich Arbeit ohnehin nicht lohne. Das kennt man auch von CDU und FDP. Bei der AfD kommt noch ein ganzer Reigen von migrationskritischen Punkten hinzu. Ok, die AfD will „Ausländern“ und „Asylbewerbern“ kein Bürgergeld zahlen. Das ist nicht überraschend. Aber wie soll die Grundsicherung für deutsche Erwerbslose aussehen? Dazu erfährt man im Programm so gut wie gar nichts. Man will nicht, dass Menschen, die „arbeiten können, der Gesellschaft zur Last fallen“. Sie sollen stattdessen arbeiten. Das ist nicht sonderlich originell. Interessanter wäre es, hier zu erfahren, wie die AfD dies bewerkstelligen will. Doch dazu gibt es leider keine Ansatzpunkte im Programm, die über Plattitüden hinausgehen.
Wer soll das bezahlen?
Ungeschickt ist die AfD nicht. Viele ihrer Forderungen gleichen einem Wünsch-dir-was-Konzert. So ist es schon bemerkenswert, wie die AfD ein Steuermodell aus dem Hut zaubert, bei dem jeder bessergestellt wird. Wer ist schon gegen Steuersenkungen? Aber im echten Leben und vor allem in der Politik gibt es bekanntlich nichts geschenkt. Die entscheidende Frage ist also, wie will die AfD ihre ganzen Geschenke, die ja vor allem an die Wohlhabenden gehen, gegenfinanzieren? Hier herrscht im gesamten Programm dröhnendes Schweigen.
Das DIW hat einmal nur die im Programm konkret genannten Forderungen durchgerechnet und kommt bei der AfD auf Kosten in Höhe von 150 Mrd. Euro pro Jahr. Und hier ist die „große Steuerreform“ bei der Einkommensteuer noch nicht einmal berücksichtigt, da diese Forderung ja im Programm nur am Rande erwähnt wird. Die AfD ist ein großer Freund der Schuldenbremse. Sie will die Neuverschuldung nicht nur stoppen, sondern erwähnt im Programm sogar, dass sie die Staatsschulden senken will. Nun müsste man ja erwarten, dass die Partei konkrete Vorschläge aufstellt, an welcher Stelle man derart gigantisch viel Geld sparen will. Doch dazu findet sich nichts … zumindest nichts Relevantes. Natürlich ist an vielen Stellen davon die Rede, dass man einzelne „linksgrüne ideologische Projekte“ stoppen will. Das kann man so machen. Aber glaubt irgendwer ernsthaft, dass der Stopp des Ausbaus der regenerativen Energien oder ein Förderstopp für irgendwelche „Gender-Programme“ einen dreistelligen Milliardenbetrag einsparen würde?
Derzeit beträgt das Volumen des Bundeshaushalts 478 Milliarden Euro. Der größte Ausgabeposten sind die Leistungen an die Rentenversicherung mit 116 Milliarden Euro. Diesen Posten will die AfD – wenn man ihr Programm wörtlich nimmt – nicht senken, sondern sogar erhöhen. Selbst wenn der Posten unverändert bleibt, wären noch 362 Milliarden Euro offen. Aber halt! Die AfD will ja den Verteidigungshaushalt auf über fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, um die „Bundeswehr zu ertüchtigen und das Land zu verteidigen“, wie Alice Weidel es formuliert. Lassen wir diese fünf Prozent erst einmal raus und gehen davon aus, dass die AfD die aktuellen Rüstungs- und Militärausgaben in Höhe von 72 Milliarden Euro unangetastet lässt. Wenn man nun aus dem Gesamthaushaltsvolumen von 478 Milliarden Euro die Rentenversicherung und die Verteidigungsausgaben ausklammert, die die AfD ja nicht beschneiden will, bleibt ein „Resthaushalt“ in Höhe von 290 Milliarden Euro übrig.
Wenn man die konservativen Zahlen des DIW heranzieht, müssten demnach sämtliche übrigen Staatsausgaben mehr als halbiert werden, um ohne Neuverschuldung die Steuersenkungen des AfD-Programms in Höhe von 150 Milliarden Euro gegenzufinanzieren. Wie will die AfD das machen? Und bitte behalten Sie im Hinterkopf, dass dies eine sehr konservative Berechnung ist. Nimmt man die Aussagen der AfD wörtlich, müsste sie sowohl die Zuschüsse für die Rentenversicherung als auch die Verteidigungsausgaben ja deutlich erhöhen, und da sie die Gesamtverschuldung senken will, müssten für diesen Posten auch noch hohe Summen hinzugezählt werden. Wenn die AfD beispielsweise „nur“ den Wünschen Trumps und Weidels folgt und die Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP erhöhen will, wäre dies mit Mehrkosten von 137 Milliarden Euro verbunden. Übrig blieben 13 Milliarden Euro für den gesamten(!) Bundeshaushalt ausschließlich Rentenversicherung und Verteidigung.
Neoliberal bis ins Mark
Diese abstrusen Zahlen zeigen: Das Programm der AfD ist neoliberal bis ins Mark und vollkommen unseriös, da es offenlässt, wie die milliardenschweren Geschenke an die Wohlhabenden und Superreichen eigentlich gegenfinanziert werden sollen. Würde man das Steuermodell der AfD umsetzen, wären die Mindereinnahmen so groß, dass eine mögliche AfD-Regierung nur die Wahl hätte, sich entweder massiv neu zu verschulden oder eine ebenso massive Kürzungsorgie über alle Ressorts des Bundeshaushalts vorzunehmen. Und das wäre keinesfalls vollkommen ausgeschlossen. Kern libertärer Politik ist es, den Staat – wo es nur geht – zurückzudrängen.
Dies kommt im Wahlkampf natürlich nicht gut an, da man dann ja die Frage beantworten müsste, wo man konkret sparen will. Bei der inneren Sicherheit? Bei der Bildung? Bei der Infrastruktur? Dem Verkehr? Den Sozialausgaben? Der Rente? Der Verteidigung? Angekündigte Kürzungen in diesen Ressorts würden der AfD freilich Wählerstimmen kosten. Mit ein paar Kürzungen bei der Energiewende oder – wie es die AfD nennt – „linksgrünen ideologischen Träumereien“ ist es aber nicht einmal im Ansatz getan. Man müsste den Staat tatsächlich „entkernen“.
Scrollen Sie nun bitte kurz ein wenig hoch. Am Anfang des Textes hieß es zu den Zielen der marktradikalen Professoren, die die Gründerväter der AfD waren: „Man wollte den Staat entkernen, die Steuerlast minimieren und die soziale Marktwirtschaft nach libertären Vorstellungen umkrempeln“. Und genau hier schließt sich der Kreis. Alle drei Ziele wären mit einem derart unseriös gegenfinanzierten Haushalt mittelfristig wohl „alternativlos“. Die AfD kehrt also zu ihren Wurzeln zurück und keiner merkt’s.
Nun ist die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD die nächste Regierung stellt oder zumindest an ihr beteiligt ist, ja eher gering. Der große AfD-Bluff wird also nicht auffliegen. Es ist ja auch bequem – die AfD kann eigentlich versprechen, was sie will. Da sie auf absehbare Zeit nicht in die Pflicht kommt, ihre Versprechungen umzusetzen, kann sie vogelfrei das Blaue vom Himmel versprechen und sich ins Absurde flüchten, wenn sie konkret mit den Widersprüchen konfrontiert wird. Sehenswert ist in diesem Zusammenhang ein Interview, das Alice Weidel n-tv gegeben hat und in dem sie ausnahmsweise mal konkret zu ihren steuerpolitischen Forderungen und deren Widersprüchen befragt wird. Ich lasse das zum Abschluss mal unkommentiert stehen. Machen Sie sich selbst ein Bild.
Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com
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